Abstraktionen in Blau und Rot, malerisch in ihren Abstufungen, ausgeführt in bewegtem, strengem, ja konsequentem Duktus. Des Menschen Antlitz auf kaltgrünem oder rotem Grund erwächst aus kraftvoller Lineatur in kaum zu überbietender farblicher Spannung. Lineare Einfachheit der Umrisse, Verzicht auf schellende Detailformen – diese Köpfe beherrscht ein gesammelter Ernst, eine Art gotische Beseeltheit.
Kunst von Karl Meusel zwingt zum Hinsehen, prägt sich ein, fordert zum Hinter fragen. Diesem Appell wollen wir Folge leisten.
Karl Meusel wurde 1912 in Neuhaus-Schierschnitz, Kreis Sonneberg, geboren. Begabung ermöglichte ihm den Besuch der Fachschule für Angewandte Kunst in Sonneberg. Wohl der Wille zum Noch-mehr-Können-Wollen führte ihn an die Weimarer Kunsthochschule. Die Namen seiner Lehrer (Klemm / Olbricht) zeugen von unbedingter Solidität des Studiums. Karl Meusel erreichte den Status eines Meisterschülers im Weimarer Prellerhaus und wurde später Mitarbeiter des Studiums für Wandmalerei in Oberweimar, Was stand einem glücklich erfüllten Dasein als Künstler entgegen?
Die Leiden der Zeit: Faschistische Diktatur, verbunden auch mit unausweichlichen Konsequenzen für Kunst und Künstler. Militärdienst, Verwundung und Gefangenschaft. Beschreibungen dessen, Andeutungen über das Ausmaß der verhängnisvollen Auswirkungen, bedürfen an dieser Stelle nicht ; der näheren Erörterung.
Der künstlerische Aufbruch der Nachkriegszeit kommt einem Aufatmen gleich. Im besonderen Maße in Thüringen, das mit dem zum Kunstzentrum erklärten Weimar sich damals anschickte, mit den Kunst-Hauptstädten Berlin und Dresden zu konkurrieren.
Aus der Gefangenschaft nach Gotha entlassen brachte sich Karl Meusel in die Entwicklungsbewegungen der thüringischen Kunst der Nachkriegsjahre engagiert ein. In der wissenschaftlichen Literatur über jene Jahre erscheint sein Name häufig und in verschiedenen Zusammenhängen. Von entscheidender Bedeutung war die Gründung der Gewerkschaft 17 (Kürst und Schrifttum) 1945, zu deren Initiatoren Karl Meusel neben Martin Fohle, Harry Schmidt-Schaller, Eberhardt Steneberg, Kurt W. Streubel und Otto Kayser gehörte. Jene Künstlervereinigung war auch Veranstalter und Organisator der Ersten Thüringer Landesausstellung 1947, die als Höhepunkt im Streben um eine Neubelebung der Kunstentwicklung gelten kann.
Es war wohl nicht so sehr die Ablehnung der „Volksmassen“, die „… argwöhnisch, voller Lebensangst, ohne Selbstvertrauen, ein schuldbeladenes, ausgestoßenes Volk, blindlings hinter großen Forderungen wie Demokratie und Sozialismus hertaumelten …“, viel mehr war es de r 1948 einsetzende Kampf um Realismus / Formalismus, der Rezeptionsbedingungen verhinderte, Produktionsbedingungen verzerrte, Hoffnungen zerstörte und folgenreiche verheerende Bedeutung erhielt. Eine kunstfeindliche Bewegung, zudem inmitten des Kalten Krieges.
Altenburg wurde über Jahrzehnte wie ein Feind aus dem Kunstleben der DDR von den „Kunstmächtigen“ verbannt. Hermann Bruse wurde im Streit um Realismus / Formalismus zerrieben und starb früh. Herrmann Glöckner tauchte erst nach Jahrzehnten wieder in Ausstellungen auf. Rene Graetz erholte sich niemals von den Auseinandersetzungen, Eugen Hoffmann zerbrach. Die Reihe derer, die einen Ausweg aus der Misere suchten und derer, die ihn nicht fanden, läßt sich fortsetzen.
Bezogen auf Thüringen und den Kern der dortigen künstlerischen Bewegungen erscheint bemerkenswert, daß mit Ausnahme von Otto Kaiser und dem Anfang der 50er Jahre aus dem Verband bildender Künstler ausgeschlossenen und 1979 wieder aufgenommenen Kurt W. Streubel alle anderen trotz ihrer unbestrittenen Verdienste offiziell aus dem Thüringer Kunstleben ausschieden.
Es waren viele, die nicht bereit waren, sich den Dogmen einer neuen Diktatur zu beugen. Ihr Lebensweg, ihr Werk geben Auskunft. Karl Meusel gehörte zu ihnen.
Themen Landschaft und Mensch bestimmen das mit Stetigkeit und Zähigkeit immer wieder neu bearbeitete Werk. Der Darstellung des Menschen begegnen wir sowohl in der Malerei als auch in der Handzeichnung. Bereits in den kraftvoll lavierten, mit Tusche oder Tinte ausgeführten, kleinformatigen Zeichnungen erkennt der Betrachter, dass es hier keinesfalls um portraithafte Ähnlichkeit gehen kann. In starker Verknappung und in der Reduktion aller überflüssigen Zutaten wird der Dargestellte zum sinnbildhaften Gegenüber erhoben. Mimisches tritt zurück. Meisterhaft beherrschtes Hell-Dunkel deutet Transzendentales an. In den Vordergrund gerät der Mensch als Archetypus, als Geschöpf, das Leiden, Schmerz, Sehnsucht nach Zuwendung signalisiert.
Expressive Steigerung erfährt die Darstellung der Menschen in der Malerei Karl Meusels. Neben der Verknappung auf Wesentliches kommt der Spannungsgehalt meist nur einer Farbkombination, eines Farbpaares hinzu. Der Ausdruck überpersönlicher Wirklichkeit wird erreicht. Es sind vergeistigte Menschenbilder. Jawlenski, der auf ganz andere, auf konstruktive Weise, ähnliches vollbrachte, nannte seine Portraits „Lieder ohne Worte“. Karl Meusels Menschenbilder sprechen von Versunkenheit, Demut und Trauer. Er verleiht Lebensgefühlen Ausdruck, die unter den Bedingungen der Zeitenwende auch dem heutigen Betrachter gegenwärtig sind.
Überraschend und unvermutet treffen wir in der Kunst von Karl Meusel auf Ergebnisse, die direkte Parallelität zu internationalen europäischen Kunstentwicklungen aufweisen. Nationalsozialismus und Faschismus hatten seit den dreißiger Jahren eine gegenständliche und propagandistische Kunst gefordert. Der Stalinismus erneuerte das Diktat. Mit dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges war der einzelne immer mehr in der Masse untergegangen. So brach sich in dieser Epoche der verordneten Kunst und der Schrecken zwangsläufig das Individuum erneut Bahn. Die Chance zur Selbstverwirklichung, welche die missbrauchte, gegenständliche Kunst nicht mehr bot, fand man in der Herstellung abstrakter Psychogramme, Spiegelbildern seelischer Befindlichkeit.
Unter dem Begriff des Abstrakten Expressionismus versammeln sich dementsprechend verschiedene Techniken und Künstler, die kein gemeinsamer Stil, sondern höchstens ein gemeinsames Ziel verbindet. Nicht mehr Form und Idee, sondern Gestus und Farbe, ureigenste bildnerische Mittel, konstituieren jetzt eine autonome Bildwelt, die Bedeutung nur aus sich heraus erzeugen will. Das Bild ist nicht mehr in erster Linie Ausdruck eines Sachverhaltes, sondern ruft durch Befreiung von formalen Zwängen Eindrücke, Assoziationen beim Betrachter hervor, ohne sich diesem aufzudrängen. In Westeuropa und den USA wird diese Kunstrichtung bestimmend für die 50er und 60er Jahre.
In der thüringischen Abgeschiedenheit unter den Bedingungen der Isolation und des Schmerzes über die Endgültigkeit des Verlustes erfüllter Lebens- und Schaffensbedingungen findet Karl Meusel zu ähnlichen künstlerischen Lösungen.
Die ersten Abstraktionen, „in Blau“, sind noch erkennbar am Gegenstand – es ist der Blick aus dem Fenster – orientiert. Gelegentlich schwingt Impression mit. Im Verlaufe der stetigen, unentwegten Hinwendung zum Motiv gelange die zu höchster individueller Eigenständigkeit. Eleganz, Konsequenz und Strenge kennzeichnen die in den 80er Jahren entstandenen Gemälde. Sie stellen End- und Höhepunkt dieser Entwicklung dar.
Doch es wäre falsch, die Kunst von Karl Meusel ausschließlich orientiert am Vorbild der europäischen Moderne zu betrachten. Ein anderes, ein eigenständiges und subjektives Moment nimmt. Einfluss auf seine Eigenart seiner Kunst.
Leichter erkennbar als in der Malerei ist es am zeichnerischen Werk, das, bezieht es sich auf die Landschaft, von ähnlichen Tendenzen gekennzeichnet ist. Zuweilen die Natur in fast impressionistischer Manier beobachtend, in fein abgestuften lavierten Federzeichnungen romantische Flusslandschaften einfangend, bricht sich immer wieder Subjektives Bahn. Gespinste graphischer Strukturen, hell, durchsichtig, locker oder zu dichteren Ballungen gesammelt, geben dem Betrachter Raum für eigene phantastische Visionen von Landschaft. In kompositorischer Strenge gegeneinander gesetzte kühne Pinselschwünge suggerieren Weite von Himmel und Erde, Unendlichkeit des Universums. Zum Meisterwerk geraten die als „letzter Duktus“ bezeichneten Aquarelle. In jenen zarten, sparsamen Abstraktionen erkennt man die großen Verwandten dieser Kunst in der Malerei der deutschen Romantik. Dies kann hier weniger als formal stilistisches Charakteristikum verstanden werden, sondern meint viel mehr Romantik als Geisteshaltung. Zerrissenheit und Schmerz, Sehnsucht nach Harmonie und schließlich deren Vision. Ideal und Wirklichkeit -in der Realität unvereinbar – gelangen hier zu dem Punkt, in dem alles zusammenfällt, von dem alles eine innere Einheit erfährt.
Einer der bekanntesten Aphorismen Caspar David Friedrichs beginnt mit: „Der Maler soll nicht bloß das malen, was er vor sich sieht, sondern das, was er in sich sieht, …“. Die Geisteshaltung des Romantikers bildet, bewusst oder unbewusst, das programmatische Kernstück des Lebenswerkes von Karl Meusel.
Das Bild der Wirklichkeit wird von der Vision des Künstlers aufgesogen. Das innere, visionäre Bild hat Primat. Es fügt das Getrennte zusammen und setzt alles Äußere in Beziehung mit dem Innern des einzelnen.
Reinhild Schneider, 1993