Im Ärztehaus in Stadtroda gibt es auch weiterhin vierteljährlich wechselnde Präsentationen „bildender Kunst! Nachdem Dr. Lieselotte Haubenreiser, die vor 10 Jahren die „Galerie im Ärztehaus“ ins Leben rief, aus gesundheitlichen Rücksichten aus dem Gestalter-Team ausschied, votierte Dr. Hans Amlacher, der neue ärztliche Direktor des Landesfachkrankenhauses für Psychiatrie und Neurologie, für den Erhalt der Galerie, so dass sich mehrere Angehörige dieser Einrichtung zur Mitarbeit •bereit erklärten.
Die gegenwärtige 42. Ausstellung zeigt kleinformatige Arbeiten auf Papier des Thüringer Künstlers Karl Meusel (1912 – 1986): mit Bleistift, Graphit, Kohle, Tinte und Tusche ausgeführte Zeichnungen sowie malerisch aufgefasste Blätter überwiegend in Aquarell- und Temperafarben und in Tusche.
Aus dem Nachlass wurden die Blätter für die Ausstellung – auf Gemälde muss verzichtet werden – so ausgewählt, dass zumindestens ein Einblick in das Oeuvre ermöglicht und Tendenzen seiner Entwicklung erkennbar v/erden. Das älteste Exponat von 1932 zeigt den jungen Karl Meusel „Selbst als Student der Kunsthochschule in Weimar“. Und eine „Kosmische Landschaft“ von 1985, eine Anordnung aus ; Graphitstrichen, gehört zu den letzten Blättern des schon erkrankten Künstlers.
Meusel hat sich in seinem Leben fast ausschließlich mit der menschlichen Figur, dem Antlitz des Menschen und der Landschaft befasst. In der Ausstellung sind die „Dunkle Landschaft“, besonders Flusslandschaften, in denen nur der Horizont hell aufleuchtet und das Licht im Wasser sparsam reflektiert wird, und der differenziert gegliederte „Geneigte Baum“ zu sehen; ernste, gesammelte und nachdenkliche Menschenköpfe; ein Blatt hat den Titel „Weiblicher Kopf fragend“. Der Betrachter merkt, daß der Künstler keine konkreten Landschaften mimetisch darstellte und keine Porträts schuf, sondern eigenem, romantischem Lebensgefühl Ausdruck verlieh.
Karl Meusel war sicher ein sensibler Mensch, zur Meditation neigend, in Moll gestimmt, doch das Leben packte ihn – wie viele seiner Generation – hart an: Im 3. Reich lehnte er ab, Mitglied der NSDAP zu werden, musste Kriegsdienst leisten, erlitt Verwundung und Gefangenschaft. Wie auch das um 1955 geschaffene Blatt „Im Krieg in Russland“ zeigt, wirkten die Ereignisse des Krieges noch lange nach. Lach dem Völkermorden setzte sich Meusel voller Hoffnung aktiv für die -Erneuerung der Kunst in Thüringen ein, wurde aber schon bald während des 1951 beginnenden, vom ZK der SED geführten „Kampfes gegen den Formalismus in Kunst und Literatur, für eine fortschrittliche deutsche Kultur“ wieder aus dem Künstlerverband ausgeschlossen und damit aus dem offiziellen Kunstbetrieb ausgegrenzt.
Dennoch setzte der Künstler seine Arbeit beharrlich fort: Er war bestrebt, zunehmend auf überflüssige Details zu verzichten, stärker als etwa in dem Wandbildentwurf „Mutter und Kind“ von 1950 oder den „Bäumen am Zaun“ (1952) zu abstrahieren, die künstlerischen Mittel immer sparsamer zu verwenden und sich bündig und treffend, auf Wesentliches konzentriert zu äußern. So entstanden z. B. mit einem dicken Pinsel aus Tupfen und Bahnen wässriger grauer Tusche ungemein treffsicher die Landschaft mit „Düne“ im Vordergrund, Meer und Wolkenstreifen (1965) oder aus wenigen Bleistiftstrichen der „Halbakt“ (um 1977).
Aus dem umfangreichen Nachlass ist zu sehen, dass Meusel wieder und wieder, geradezu besessen verschiedene gestalterische Möglichkeiten einzelner Formen, die er „Duktus“ nannte, seriell erprobte: Striche, Zickzack-Linien, Bahnen, wolkig-ballige Formen usw. Beispiele dafür in der Ausstellung sind „Büsche“ und „Steilküste“ (beide um 1968), „Kopf in Strichen“ (ab 1975) und „Zickzack-Kopf“ (um 1980). Ein Höhepunkt im Schaffen des Künstlers in gedanklicher wie ästhetischer Einsicht sind sicher seine „Kosmischen Landschaften“ (1982), in denen verschieden farbige Bahnen aus Aquarellfarben ihre Wege ziehen, sich berühren, durchdrungen und kreuzen; Sinnzeichen für Erde und Himmel, für die Gewässer und Energien des Kosmos. Mit solchen Arbeiten fand der Thüringer Karl Meusel aus einer romantischen Grundstimmung heraus, isoliert vom Kunstbetrieb den Anschluß an moderne Kunstentwicklungen“.
Achim Heidemann